Bewurzelung und Weiterkultur rot panaschierter Gymnocalycium friedrichii

Abb. 1: Rot panaschiertes Gymnocalycium friedrichii.
Im Jahre 2002 erwarb ich in einem Münchener Gartencenter ein auf
Hylocereus gepfropftes, panaschiertes (variegates)
Gymnocalycium friedrichii (Abb. 1). Dieses Gymnocalycium
mit der zweifarbigen Epidermis interessierte mich schon lange, denn
ich hatte vor vielen Jahren in einer Aussaat von Neochilenia
odieri einen panaschierten Sämling entdeckt, der heute noch lebt
(Abb. 2). Beiden Pflanzen sind die roten Bereiche auf der dunklen
Epidermis gemeinsam. Als ich damals meinen Neochilenia-Sämling
unserem Münchener Ortsgruppenvorsitzenden und langjährigen
DKG-Ehrenmitglied Franz Polz zeigte, sagte er, dass es sich um eine
Hybride handele. Und tatsächlich: die
Frucht entstand an der selbststerilen und einzigen N.
odieri ohne mein Zutun durch Insektenbestäubung. Auch Mordhorst
(2008) berichtet von panaschierten Hybriden. Die
von ihm vorgestellten Pflanzen sind allerdings gelb panaschiert, von Elternpflanzen, die alle eine grüne
Epidermis hatten. Gelbpanaschierungen kommen u. a. auch bei Ferocactus- und
Thelocactus-Hybriden vor.

Abb. 2: Neochilenia odieri-Hybride. Fünf der 16 Rippen sind rot.
Ob meine rot panaschierten Gymnocalycium friedrichii
bei einer artreinen Aussaat durch einen Gendefekt oder durch Hybridisierung entstanden, wird
wohl nur der (japanische?) Züchter sagen können, bei
dem die Pflanzen vor einigen Jahrzehnten entstanden. Ein bekannter
Gymno-Experte schrieb mir sogar, dass er eine gezielte Genmanipulation
vermutet.
Ich bin an sich kein Freund von unnatürlich aussehenden Pfropfungen,
halte sie aber in einigen Fällen für notwendig (Schade
2013). Bei dem panaschierten G. friedrichii fragte ich mich
daher: Könnten die Pfröpflinge auf eigener Wurzel gedeihen, sodass
eine Pfropfung unnötig ist? Schon Blaha
(1976) hätte das gern gewusst. Doch viele Kakteenfreunde bezweifeln
schon, dass sich solche variegaten Kakteen überhaupt bewurzeln
lassen, geschweige denn, auf Dauer auf eigener Wurzel weiterleben
können, denn zur Assimilation fehle ja das Chlorophyll.

Abb. 3: Zwei von vier gepfropften Sprosse der Ursprungspflanze in Abb. 1 nach acht Jahren.
Für meine Versuche hatte ich zuerst - um schnell an genügend Material zu
kommen - die ersten Sprosse auf vier weitere Hylocereus
gepfropft (Abb. 3). Ab 2006 konnte ich Jahr für Jahr eine Vielzahl
Sprosse schneiden und mit den Bewurzelungsversuchen beginnen.
Die Bewurzelung
Nach dem Schneiden wurden die Sprosse zum Abtrocknen der Schnittfläche
zunächst auf trockenes Bimssubstrat gelegt und nach ein paar Tagen
dann auf feuchtes Bimssubstrat oder auf feuchten Quarzsand. Das
Abtrocknen und Bewurzeln erfolgte an einem schattigen Platz im
Gewächshaus. Bimssubstrat und Quarzsand hatte ich zuvor in der
Mikrowelle fünf Minuten sterilisiert. Als günstigsten Zeitraum für
das Bewurzeln hat sich der Zeitraum von April bis Juli erwiesen.

Abb. 4: In Bimssubstrat (links) und in Quarzsand bewurzelte Sprosse.
Die ersten Wurzelspitzen zeigten sich oft schon nach wenigen Tagen, egal
ob auf Bimssubstrat oder Quarzsand (Abb. 4). Allerdings musste ich
den Quarzsand zweimal erneuern, weil er von Larven der Trauermücke befallen war. Einen Unterschied der Bewurzelungszeit
zwischen Exemplaren mit normaler und variegater Epidermis oder
Bimssubstrat und Quarzsand konnte ich nicht feststellen. Das
Bewurzeln ab August war meist erfolglos. Diese unbewurzelten
Exemplare wollten dann auch im nächsten Jahr nicht mehr wurzeln.
Die Weiterkultur
Nach der Bewurzelung wurden die Stecklinge unter folgenden Bedingungen
weiter kultiviert:
Substrat: Kakteenerde von der
Kakteengärtnerei Schleipfer. Da
diese viel Löss enthält und insgesamt sehr feinkörnig ist, mischte
ich gröbere mineralische Anteile zu. Standort von April-Oktober:
sonniger bis halbschattiger Platz im Gewächshaus. Gießen von oben,
Substrat immer feucht. Düngung dreimal im Jahr mit Blaukorn Nova Tec flüssig.
Standort von November bis März: hell, nicht unter +10 °C, auch in
der Ruhephase Substrat ständig leicht feucht.

Abb. 5: Eine Auswahl bewurzelter Sprosse.

Abb. 6: Wurzelsystem eines fast vollständig roten G. friedrichii.
Die
Weiterkultur verlief bei allen Stecklingen — von solchen mit
normaler Epidermis bis zu den Exemplaren mit fast völlig roter
Epidermis — ohne Probleme (Abb. 5). Ein Unterschied im jährlichen
Zuwachs war nicht zu verzeichnen. Verluste gab es nach einem kalten
Winter. Ab dem darauf folgenden Winter stellte ich die Pflanzen an
einen wärmeren Platz. Auch scheinen die Pflanzen ein Umtopfen nicht
zu mögen. Das Exemplar in Abb. 6 verfaulte nach dem Umtopfen im
August in kurzer Zeit. Verbrennungen durch Sonneneinwirkung
gab es keine. Eine Fensterbrettkultur habe ich nicht ausprobiert.
Die panaschierten Pflanzen sind alle blühfähig und
haben teils sehr reich (hellrosa) geblüht (Abb. 7). Die fast roten
Exemplare blühen weniger. Die Panaschierung ist weitestgehend
stabil, d. h. nennenswerte Veränderungen im Anteil der roten
Bereiche traten im Laufe der Jahre nicht auf. Panaschierte Pflanzen
sprossen ebenfalls panaschiert, doch die Exemplare mit der
ursprünglichen dunklen Epidermis sprossen nicht panaschiert. Zu den
Pflanzen in Abb. 8 sind weitere hinzugekommen. In sieben Jahren
konnte ich insgesamt ca. 26 Stück erfolgreich bewurzeln und
weiterkultivieren.

Abb. 7: G. friedrichii mit zahlreichen Blütenknospen.

Abb. 8: Wurzelechte rote und rot panaschierte G. friedrichii im Alter von ein bis drei Jahren, fotografiert Mitte Oktober 2009
Schlußbetrachtung
Schon in der Schulzeit lernt man im Biologieunterricht, dass Pflanzen in
den Blättern Chlorophyll zur Assimilation benötigen und dass das
Vorhandensein von Chlorophyll zur grünen Blattfärbung führt. Doch
gibt es auch Pflanzen ohne
erkennbares Blattgrün, z. B. die Blutbuche
(Fagus sylvatica f. purpurea) oder der Rotkohl. Bei diesen Pflanzen wird
das grüne Chlorophyll von roten
Anthocyanen überdeckt. Anthocyane sind Farbstoffe, die in fast allen
Landpflanzen enthalten sind, aber bei den meisten Nelkenartigen (Caryophyllales),
auch den Kakteen, fehlen. Hier übernehmen Betalaine die Funktionen
der Anthocyane (Anonymus
2015). Bekanntlich sind ja viele Kakteen alles andere als grün, z.
B. ist die Epidermis von Copiapoa
tenuissima fast schwarz, und viele
Neoporteria
und Neochilenia
haben eine braune Epidermis. Bei diesen Kakteen wird also das Grün
des Chlorophylls von speziellen Betalainen verdeckt.
Da meine bewurzelten Gymnocalycium
friedrichii auch wurzelecht gedeihen, muss Chlorophyll in ausreichendem Maß vorhanden sein,
denn ein anderer biochemischer Prozess, der die Funktion des Chlorophylls ersetzen würde, ist nicht bekannt. Daher ist
ein Pfropfen dieser Pflanzen nicht notwendig.
Das Chlorophyll wird von roten Betalain-Farbstoffen überdeckt und ist daher nicht sichtbar.
Anders verhält es sich bei den rein rot-, orange-, gelb- und
purpurfarbigen, gepfropften Gymnocalycium
friedrichii aus dem
Supermarkt oder Gartencenter. Ihnen fehlt das Chlorophyll
und dementsprechend benötigen sie die Pfropfunterlage zum Überleben.
Literatur:
Anonymus
2015: Anthocyane. — http://de.wikipedia.org/wiki/Anthocyane [08.05.2015]
Blaha R.
1976: Halbmutation des Gymnocalycium mihanovichii. —
Kakt. and. Sukk. 27: 104–105.
Mordhorst A.
2008: Die Entstehung, Entwicklung und Vielfalt
chlorotischer und panaschierter Kakteenhybriden. — Kakt. and. Sukk.
59: 215–222.
Schade R.
2013: Werden bei Pfropfungen Blühhormone übertragen? —
Kakt. and. Sukk. 64: 232–235.
Reproduktion mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Kakteen-Gesellschaft e. V. und der Redaktion "Kakteen und andere Sukkulenten".