Kakteensammlung Reinhart Schade

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Publiziert in: Kakteen und andere Sukkulenten
66:(9):225-229, 2015

Bewurzelung und Weiterkultur rot panaschierter Gymnocalycium friedrichii

Abb. 1: Rot panaschiertes Gymnocalycium friedrichii.

Im Jahre 2002 erwarb ich in einem Münchener Gartencenter ein auf Hylocereus gepfropftes, panaschiertes (variegates) Gymnocalycium friedrichii (Abb. 1). Dieses Gymnocalycium mit der zweifarbigen Epidermis interessierte mich schon lange, denn ich hatte vor vielen Jahren in einer Aussaat von Neochilenia odieri einen panaschierten Sämling entdeckt, der heute noch lebt (Abb. 2). Beiden Pflanzen sind die roten Bereiche auf der dunklen Epidermis gemeinsam. Als ich damals meinen Neochilenia-Sämling unserem Münchener Ortsgruppenvorsitzenden und langjährigen DKG-Ehrenmitglied Franz Polz zeigte, sagte er, dass es sich um eine Hybride handele. Und tatsächlich: die Frucht entstand an der selbststerilen und einzigen N. odieri ohne mein Zutun durch Insektenbestäubung. Auch Mordhorst (2008) berichtet von panaschierten Hybriden. Die von ihm vorgestellten Pflanzen sind allerdings gelb panaschiert, von Elternpflanzen, die alle eine grüne Epidermis hatten. Gelbpanaschierungen kommen u. a. auch bei Ferocactus- und Thelocactus-Hybriden vor.

Abb. 2: Neochilenia odieri-Hybride. Fünf der 16 Rippen sind rot.

Ob meine rot panaschierten Gymnocalycium friedrichii bei einer artreinen Aussaat durch einen Gendefekt oder durch Hybridisierung entstanden, wird wohl nur der (japanische?) Züchter sagen können, bei dem die Pflanzen vor einigen Jahrzehnten entstanden. Ein bekannter Gymno-Experte schrieb mir sogar, dass er eine gezielte Genmanipulation vermutet.

Ich bin an sich kein Freund von unnatürlich aussehenden Pfropfungen, halte sie aber in einigen Fällen für notwendig (Schade 2013). Bei dem panaschierten G. friedrichii fragte ich mich daher: Könnten die Pfröpflinge auf eigener Wurzel gedeihen, sodass eine Pfropfung unnötig ist? Schon Blaha (1976) hätte das gern gewusst. Doch viele Kakteenfreunde bezweifeln schon, dass sich solche variegaten Kakteen überhaupt bewurzeln lassen, geschweige denn, auf Dauer auf eigener Wurzel weiterleben können, denn zur Assimilation fehle ja das Chlorophyll.

Abb. 3: Zwei von vier gepfropften Sprosse der Ursprungspflanze in Abb. 1 nach acht Jahren.

Für meine Versuche hatte ich zuerst - um schnell an genügend Material zu kommen - die ersten Sprosse auf vier weitere Hylocereus gepfropft (Abb. 3). Ab 2006 konnte ich Jahr für Jahr eine Vielzahl Sprosse schneiden und mit den Bewurzelungsversuchen beginnen.

Die Bewurzelung

Nach dem Schneiden wurden die Sprosse zum Abtrocknen der Schnittfläche zunächst auf trockenes Bimssubstrat gelegt und nach ein paar Tagen dann auf feuchtes Bimssubstrat oder auf feuchten Quarzsand. Das Abtrocknen und Bewurzeln erfolgte an einem schattigen Platz im Gewächshaus. Bimssubstrat und Quarzsand hatte ich zuvor in der Mikrowelle fünf Minuten sterilisiert. Als günstigsten Zeitraum für das Bewurzeln hat sich der Zeitraum von April bis Juli erwiesen.

Abb. 4: In Bimssubstrat (links) und in Quarzsand bewurzelte Sprosse.

Die ersten Wurzelspitzen zeigten sich oft schon nach wenigen Tagen, egal ob auf Bimssubstrat oder Quarzsand (Abb. 4). Allerdings musste ich den Quarzsand zweimal erneuern, weil er von Larven der Trauermücke befallen war. Einen Unterschied der Bewurzelungszeit zwischen Exemplaren mit normaler und variegater Epidermis oder Bimssubstrat und Quarzsand konnte ich nicht feststellen. Das Bewurzeln ab August war meist erfolglos. Diese unbewurzelten Exemplare wollten dann auch im nächsten Jahr nicht mehr wurzeln.

Die Weiterkultur

Nach der Bewurzelung wurden die Stecklinge unter folgenden Bedingungen weiter kultiviert:

Substrat: Kakteenerde von der Kakteengärtnerei Schleipfer. Da diese viel Löss enthält und insgesamt sehr feinkörnig ist, mischte ich gröbere mineralische Anteile zu. Standort von April-Oktober: sonniger bis halbschattiger Platz im Gewächshaus. Gießen von oben, Substrat immer feucht. Düngung dreimal im Jahr mit Blaukorn Nova Tec flüssig. Standort von November bis März: hell, nicht unter +10 °C, auch in der Ruhephase Substrat ständig leicht feucht.

Abb. 5: Eine Auswahl bewurzelter Sprosse.

Abb. 6: Wurzelsystem eines fast vollständig roten G. friedrichii.

Die Weiterkultur verlief bei allen Stecklingen — von solchen mit normaler Epidermis bis zu den Exemplaren mit fast völlig roter Epidermis — ohne Probleme (Abb. 5). Ein Unterschied im jährlichen Zuwachs war nicht zu verzeichnen. Verluste gab es nach einem kalten Winter. Ab dem darauf folgenden Winter stellte ich die Pflanzen an einen wärmeren Platz. Auch scheinen die Pflanzen ein Umtopfen nicht zu mögen. Das Exemplar in Abb. 6 verfaulte nach dem Umtopfen im August in kurzer Zeit. Verbrennungen durch Sonneneinwirkung gab es keine. Eine Fensterbrettkultur habe ich nicht ausprobiert.

Die panaschierten Pflanzen sind alle blühfähig und haben teils sehr reich (hellrosa) geblüht (Abb. 7). Die fast roten Exemplare blühen weniger. Die Panaschierung ist weitestgehend stabil, d. h. nennenswerte Veränderungen im Anteil der roten Bereiche traten im Laufe der Jahre nicht auf. Panaschierte Pflanzen sprossen ebenfalls panaschiert, doch die Exemplare mit der ursprünglichen dunklen Epidermis sprossen nicht panaschiert. Zu den Pflanzen in Abb. 8 sind weitere hinzugekommen. In sieben Jahren konnte ich insgesamt ca. 26 Stück erfolgreich bewurzeln und weiterkultivieren.

Abb. 7: G. friedrichii mit zahlreichen Blütenknospen.

Abb. 8: Wurzelechte rote und rot panaschierte G. friedrichii im Alter von ein bis drei Jahren, fotografiert Mitte Oktober 2009

Schlußbetrachtung

Schon in der Schulzeit lernt man im Biologieunterricht, dass Pflanzen in den Blättern Chlorophyll zur Assimilation benötigen und dass das Vorhandensein von Chlorophyll zur grünen Blattfärbung führt. Doch gibt es auch Pflanzen ohne erkennbares Blattgrün, z. B. die Blutbuche (Fagus sylvatica f. purpurea) oder der Rotkohl. Bei diesen Pflanzen wird das grüne Chlorophyll von roten Anthocyanen überdeckt. Anthocyane sind Farbstoffe, die in fast allen Landpflanzen enthalten sind, aber bei den meisten Nelkenartigen (Caryophyllales), auch den Kakteen, fehlen. Hier übernehmen Betalaine die Funktionen der Anthocyane (Anonymus 2015). Bekanntlich sind ja viele Kakteen alles andere als grün, z. B. ist die Epidermis von Copiapoa tenuissima fast schwarz, und viele Neoporteria und Neochilenia haben eine braune Epidermis. Bei diesen Kakteen wird also das Grün des Chlorophylls von speziellen Betalainen verdeckt.

Da meine bewurzelten Gymnocalycium friedrichii auch wurzelecht gedeihen, muss Chlorophyll in ausreichendem Maß vorhanden sein, denn ein anderer biochemischer Prozess, der die Funktion des Chlorophylls ersetzen würde, ist nicht bekannt. Daher ist ein Pfropfen dieser Pflanzen nicht notwendig. Das Chlorophyll wird von roten Betalain-Farbstoffen überdeckt und ist daher nicht sichtbar.

Anders verhält es sich bei den rein rot-, orange-, gelb- und purpurfarbigen, gepfropften Gymnocalycium friedrichii aus dem Supermarkt oder Gartencenter. Ihnen fehlt das Chlorophyll und dementsprechend benötigen sie die Pfropfunterlage zum Überleben.

Literatur:
Anonymus 2015: Anthocyane. — http://de.wikipedia.org/wiki/Anthocyane [08.05.2015]
Blaha R. 1976: Halbmutation des Gymnocalycium mihanovichii. — Kakt. and. Sukk. 27: 104–105.
Mordhorst A. 2008: Die Entstehung, Entwicklung und Vielfalt chlorotischer und panaschierter Kakteenhybriden. — Kakt. and. Sukk. 59: 215–222.
Schade R. 2013: Werden bei Pfropfungen Blühhormone übertragen? — Kakt. and. Sukk. 64: 232–235.


Reproduktion mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Kakteen-Gesellschaft e. V. und der Redaktion "Kakteen und andere Sukkulenten".